Ich werde das Gefühl nicht los, als könnte ich mit meinem heutigen Blogbeitrag wieder mal kräftig anecken.
Dem „Lass es! Bringt eh nix! – Mach‘ lieber mal früher Feierabend…“ steht das Motto meines Blogs gegenüber, dem ich mich verpflichtet fühle:
Anmerkungen zum Interim Management aus persönlicher Sicht – unterhaltsam und kritisch
Und die doch erstaunlich vielen Leser, deren Feedback ich unter der Klammer zusammenfassen kann:
„Endlich mal kein Marketing-Geblubber! Endlich mal einer, der Wahrheiten ausspricht – statt sie mit Schönfärberei zuzukleistern!“
Nun denn!
Ich widme mich heute erneut dem Thema „Eigenvertrieb der Interim Manager“ – und Managerinnen, selbstverständlich. Ich weiß, ich habe mich der Frage, „Wie komme ich als Interim Manager an Projekte ohne Provider“ schon mehrfach gewidmet – besonders jedoch im Oktober 2015 mit meiner kleinen Serie [VERTRIEB FÜR INTERIM MANAGER – Teil 1 bis 3]. Geändert hat das in knapp drei Jahren rein gar nichts. Zumindest fühlt sich das so an.
Bei mir. Jeder hat das Recht auf eine andere Gefühlswelt – und ich werde sie respektieren. Wie stets.
Hier meine Denkwelt:
Das Kernproblem: Die Erfolge der Vergangenheit
Menschen, die irgendwann ins Interim Management eingestiegen sind – oder das derzeit tun – haben so gut wie ausnahmslos eine über lange Jahre erfolgreiche Karriere in Unternehmen hinter sich. Am Ende haben sich irgendwelche Parameter verschoben – und man trennte sich. Weshalb ist völlig unerheblich.
In dieser typischerweise über Jahrzehnte laufenden Karriere-Entwicklung haben sich die wenigsten Kandidaten selbst auf neue Positionen beworben – und wenn, dann vielleicht vier, fünf Mal in rund 25 Jahren. Stattdessen wurden sie typischerweise auf neue Aufgaben angesprochen, abgeworben – am besten noch von einem Personalberater.
So wurde das Eigenbild durch dauerhaftes Werben und Buhlen der Unternehmen koloriert – und der Firniss litt so gut wie nie unter Rissen, verursacht durch einen harten Kampf um den nächsten Job.
Mir ist an dieser Stelle wichtig: Das ist eine Historie, auf die jeder einzelne stolz sein kann – und auch sein sollte. Daran gibt es überhaupt nichts zu kritteln! Auch ich tue das nicht!
Halten wir jedoch fest: Die Erfahrung im Bewerbungsprozess ist typischerweise unterentwickelt. Die Erfahrung, darüber hinaus sich selbst vor einem kritischen Publikum „zu verkaufen“, bringt keine Handvoll mit.
Schließlich dürfen wir nicht vergessen, dass solchen „Kalibern“, die sich später fürs Interim Management entschieden, über viele Jahre – möglicherweise das letzte Dutzend Jahre – stets tatkräftige Helfer und Helferinnen für so gut wie alles unterstützend zur Seite standen.
All das sind aus der Perspektive der Transaktionsanalyse säckeweise „Du bist okay“-Chips. Du bist erfolgreich! Du bist gut! Du bist wichtig! Und jeder in Deinem beruflichen Umfeld weiß das! Glauben Sie`s mir, ich weiß, wovon ich rede: Ich war mittendrin, statt nur dabei.
Das kann doch niemanden verwundern: Da fühlst Du Dich toll – ganz ohne Drogen! Und – vielleicht ohne Dir dessen bewusst zu sein – hast Du tief verinnerlicht: „Wer was von mir will, soll gefälligst herkommen! Und dann schau ich mal, ob ich Zeit habe…!“
Dann bricht eine neue Zeitrechnung an
Mit dem Ausstieg aus der – im Nachhinein regelmäßig als „kuschelig“ eingeordneten – Angestellten-Karriere und der Entscheidung für´s Interim Management ändert sich jedoch alles:
- Du bist nicht mehr wichtig.
- Du hast keine Helfer mehr an Deiner Seite.
- Dein Netzwerk ist kollabiert, weil es an Deine Funktion gebunden war – nicht etwa an Dich als Person.
- Du bist sicher noch immer gut: Aber keiner in Deinem Umfeld weiß das!
Und exakt hier liegt das Problem: „Du bist gut, aber keiner weiß es!“
Damit sind wir zwingend beim Eigenmarketing und beim Vertrieb in eigener Sache!
Interim Manager sind typischerweise schwach im eigenen Vertrieb
Ja, ich generalisiere – und meine Leser mögen mir das nachsehen, denn ich tue das auf der Grundlage meiner 15 Jahre im Interim Management. Ich möchte niemanden angreifen, sondern es reicht mir völlig, wenn mein heutiger Blogbeitrag zum Nachdenken anregen wird. Zur kritischen Bestandsaufahme in eigener Sache.
Ich rede hier auch nicht von den Birthe Horas, Thorsten Solls und Michael Zachraus dieser Welt – die, Achtung! – spürbar Geld und Zeit ins Eigenmarketing und den eigenen Vertrieb investieren, während die Mehrzahl der Interim Manager der Vision folgt, Visitenkarten seien für den eigenen Erfolg völlig ausreichend. Neben ihrem CV – ein Thema, das ich an dieser Stelle bereits bis zur Bewusstlosigkeit durchgekaut habe. [INTERIM MANAGER, EUER LEBENSLAUF IST EINE QUAL!]
Kürzlich rief mich eine Interim Managerin an und bat um Rat in Sachen DSGVO: Sie hat rund 1.700 Kontakte, die sie bisher betreute – und auf diesen Vorgang hat die DSGVO nun massive Auswirkungen, die hier jedoch nichts zur Sache tun.
Wohl aber die 1.700 Kontakte! Über viele Jahre aufgebaut und über viele Jahre betreut. Respekt! Aus meiner ganz persönlichen Sicht dürfte diese Interim Managerin damit in der Spitzengruppe des Marktes liegen – und folglich überrascht es mich überhaupt nicht, dass sie so gut wie immer ausgelastet ist. Visitenkarten hat sie auch…
Wenn ich aber erkenne (nicht jeder Interim Manager tut das!), dass ich nicht stark im eigenen Vertrieb bin, dann könnte ich auf die Idee kommen, mich an genau dieser Stelle massiv aufzurüsten: Ich könnte mir professionelle Unterstützung holen zum Beispiel bei forma interim, ich könnte mir einen Coach holen oder ich könnte Gott weiß was tun, um einfach nur besser zu werden.
Wenige Interim Manager tun dies jedoch. Die wenigen, dies jedoch tun, fallen umso mehr auf!
Die mit weitem Abstand meisten Interim Manager folgen einer anderen, einer dualen Strategie – die aus meiner ganz persönlichen Sicht die Verantwortung für den eigenen Vertrieb an Dritte delegiert.
Zwischen Provider und eigenem Netzwerk
Man setzt zunächst auf die Provider. Man „akkreditiert“ sich bei möglichst vielen Providern in der Hoffnung, über die Vertriebsleistung der Provider an Projekte zu gelangen – in der tiefen Überzeugung: „Der Provider verkauft mich schon!“
Um die Provider turnusmäßig glücklich zu machen, schreiben dann viele Interim Manager ein, zweimal im Jahr: „Mein aktuelles Projekt ist soeben ausgelaufen und ich stehe ab sofort für neue Aufgaben zur Verfügung. Anbei mein aktueller Lebenslauf.“
Ich kommentiere dies heute nicht.
Weil Interim Manager wissen, dass der weitaus größere Teil der Projekte außerhalb der Provider vergeben werden (der Markt spricht von rund 75 Prozent), versuchen Interim Manager zusätzlich über alte Kontakte – ihr „Netzwerk“ – an Mandate zu gelangen. Auch hier praktisch ohne eigene Vertriebsleistung. Stattdessen herrscht (nicht vergessen: aus meiner Sicht!) ein opportunistisches Verhalten vor, das durch ein geduldiges Warten auf einen Anruf gekennzeichnet ist.
Ganz offensichtlich klappte das jedoch ganz gut!
Doch nunmehr höre ich vermehrt: „Herr Becker, bisher habe ich meine Aufträge über mein eigenes Netzwerk erhalten. Ich stelle jedoch fest: Mein Netzwerk stirbt gerade aus! Deshalb muss ich die Zusammenarbeit mit den Providern verstärken.“
Ich habe noch niemanden erlebt, Ehrenwort!, der in an dieser Stelle gesagt hätte: „Und deshalb muss ich meine eigenen Vertriebsanstrengungen deutlich erhöhen: Haben Sie da ein paar Tipps für mich…?“
Abgesehen davon, dass dies einem Rückzug aus dem weitaus größeren Marktsegment gleichkommt und gleichzeitig den Wettbewerb innerhalb des kleineren (Provider-) Segments erhöht: Das ist doch kein offensiver Ansatz!
Das erinnert mich an ein Kartenspiel, an dem Du die Karten aufnimmst und schaust, was Dein Gegenüber ausspielt – in der Hoffnung, dass Dein Blatt dann passt….
Ich weiß auch nicht, wieso, aber als Hardcore-Fan von Alan Parsons kommt mir soeben seine Strophe in den Sinn:
And they think it will make their lives easier
But the doorway before them is barred
And the game never ends
When your whole world depends
On the turn of a friendly card!