November. Hamburg ist schon wieder eine Woche rum!
Gestern war Allerheiligen. Irgendwie riecht die Welt anders an Allerheiligen. Vielleicht bin ich auch nur überarbeitet. Egal: Seit Kindesbeinen ist Allerheiligen ein klares Signal für mich: Weihnachten ist nicht mehr so arg weit weg…
Und damit auch nicht mehr das Jahresende.
Ich bin froh darüber! Denn das Jahr, das sich nun so langsam gen Ende neigt, war gekennzeichnet durch brachiale Arbeit. Und das muss sich im kommenden Jahr ändern: unbedingt!
„Das ändert sich nie bei Dir!“, höre ich meinen engen Kreis im innigen Chor.
Wer weiß? Wenn sich sogar in der Politik etwas ändert! Wenn tatsächlich die ewige Kanzlerin ihren Rückzug einläutet.
Ich schreibe nicht voller Häme oder Genugtuung. Sondern, weil in fast allen von uns sich der Eindruck eingenistet hatte: „Ohne die Kanzlerin? Undenkbar!“
Aber so ist es hin und wieder – mit dem Undenkbaren: Irgendwann denkt´s dann halt doch der erste – und dann brechen die Dämme.
Zu dem Undenkbaren gehörte: Der Lebenslauf der Kandidaten ist im Rahmen der Mitarbeiter-Beschaffung für Unternehmen die wichtigste Entscheidungsgrundlage, um einen Kandidaten oder eine Kandidatin zum Gespräch einzuladen.
Achtung: „einzuladen“ – nicht: „einzustellen“.
Seit Menschengedenken ist das so. Unter dieser Maxime erhält das Dokument „CV“ elementare Bedeutung für beide Seiten: Das anbietende Unternehmen und den nachfragenden Kandidaten.
Zu Ende gedacht wird dann für den nachfragenden Kandidaten der Lebenslauf zum „Verkaufsprospekt in eigener Sache“. Einem Mantra gleich bin ich an dieser Stelle darauf eingegangen.
CVs braucht bald kein Mensch mehr!
Und das anbietende Unternehmen entscheidet auf der Grundlage dieses „Verkaufsprospekts in eigener Sache“, ob es sich lohnt, den Kandidaten zum Gespräch einzuladen.
Das war immer so.
Und dann sagt der Personalchef aus heiterem Himmel:
„Herr Becker, ich bin sicher: Lebensläufe braucht auf absehbare Zeit kein Mensch mehr! So wie Sie z. B. bei UNITEDINTERIM vorgehen und ein fachliches Profil plus Video plus PSA bereitstellen: Fragen Sie sich da doch mal, welchen Mehrwert die allermeisten CVs da noch bieten…!“
Nun, bekanntlich bin ich kein bekennendes Mitglied im Club der ewig Gestrigen: Doch dieser Standpunkt ist schon krass neu!
Meine Leser wissen, dass ich nicht zur „Brauche mer net“-Fraktion gehöre und deshalb auch meinem Gegenüber nicht mal gleich klar gemacht habe, dass er keine Ahnung hätte und völlig falsch läge…
Meine Reaktion auf solche „Hämmer“ ist immer gleich: Ein, zwei Verständnisfragen stellen und mit nach Hause nehmen. Und dann etwas Zeit vergehen lassen, reflektieren und „verproben“ – geleitet von einer einzigen Frage:
„Was ist, wenn er (oder sie) Recht hat?“
In aller Regel fallen dann weitere relevante Informationen auf meinen Tisch, denn Interesse steuert Wahrnehmung. So auch in diesem Fall, als am Anfang dieser Woche der Artikel aus der Welt hier aufschlug – mit dem Titel:
Digitalisierung verändert die Suche nach Arbeitskräften.
Klar! Wissen wir längst!
Aber der Untertitel läßt dann doch aufhorchen:
Die klassische Bewerbung war einmal.
[Zitat]
Die klassische Bewerbung war einmal. Neben Xing und Linkedin kommen mittlerweile auch WhatsApp, Chatbots und Videos zum Einsatz. Künstliche Intelligenz könnte den Prozess bald noch weiter automatisieren.
[Zitat Ende]
Wir sollten also anfangen, das Undenkbare zu denken! Man stelle sicht vor: Welch‘ eine Rache an der „Brauche-mer-net!“-Fraktion, wenn auf einmal die Unternehmen skandieren sollten:
Lebenslauf? Brauche mer net!
Das ändert sich nie bei dir, Jürgen…😉
Note to myself: Endlich mein PSA-Profil auf meinen UNITEDINTERIM-Account hochladen.
😐
Nun ja: wenn man das zu Ende denkt, übernehmen auch in diesem Bereich „Algorithmen“ die Selektion der Kandidaten. Und dann ist es nicht mehr weit bis zur Bewertung der Menschen. Ob das wirklich wünschenswert ist, darüber muss sich jeder selbst eine Meinung bilden und sich entscheiden. Mir persönlich gefällt der Gedanke nicht.
Dieses „zu Ende Denken“ kommt in der Tat zu einem solchen Ergebnis, Bodo.
Ich persönlich glaube jedoch nicht, dass die „Bewertung“ von Menschen vor dem Ablauf von zwei Generationen nach uns akzeptierte werden wird – wenn überhaupt. Denn unsere Kinder wurden durch uns geprägt und werden sich unwohl mit einer maschinellen Bewertung fühlen (deren Logik sie im Zweifel nicht verstehen) und auch in deren Kindergeneration wird dieses Unwohlsein aus meiner Sicht hineinreichen. Was danach ist, kann ich nicht mehr einschätzen.
Deshalb habe ich für das „Einladen“ zum persönlichen Gespräch geschrieben.
Hier schafft der Lebenslauf in der Tat kaum noch Mehrwerte unter der beschriebenen Maxime!
Ich habe rund 4.500 Lebensläufe gelesen: 2.000 zu MANATNET-Zeiten und 2.500 schon bei UNITEDINTERIM. Es ist erschreckend, wie wenig gute Lebensläufe hier ankommen!
Wenn ich für jedes Dokument, das ich als „Klasse“ bewerten würde, ein normales Glas Single Malt trinken würde, dann käme ich noch immer jederzeit (!) durch jede Alkohol-Kontrolle.
Stattdessen höre ich z. B. auf unseren systemseitigen Hinweis, der Lebenslauf würde veralten, von den Interim Managern öfter als man glauben möchte:
„Das können Sie so lassen: In den verangenen eineinhalb Jahren hat sich nichts geändert!“
Für mich ist das der Offenbarungseid eines Interim Managers, denn die Botschaft an seine potentiellen Kunden lautet: „Über die vergangenen 18 Monate habe ich Dir nichts zu berichten, das von irgendeinem wie auch immer gearteten Interesse für Dich sein könnte!“
Gibt´s wirklich noch Leute im Markt, die meinen, der Kunde würde mit einem begeisterten „Hey, Spitze! Genau meine Welt! Den Menschen muss ich unbedingt kennenlernen!“ reagieren….?