Es ist auffällig: Derzeit haben die Anfragen von mittelständischen Unternehmen nach Interim Managern zwar unterschiedliche Überschriften: Vom Interim Manager für das strategische Personalgeschäft über den Interim Manager für die Restrukturierung des Service-Geschäftes bis zum CRO, dem Interim Manager für die – in diesem Fall – technische Neuausrichtung der gesamten Produktion.
Im Briefing-Gespräch stellt sich jedoch heraus, dass die den Anfragen zugrundeliegenden Schwächen in den Unternehmen erstaunlich ähnlich sind.
Zweite Führungsebene nicht gut genug: Flache Strukturen kennzeichnen seit Jahren den deutschen Mittelstand und stellen einen seiner vielen Vorteile dar. Wenn aber eine Führungskraft meint, zehn Geschäftsbereiche mit rund 75 Mitarbeitern direkt führen zu können, dann ist das sicher zu viel des Guten. Unschöner Nebeneffekt: Potenzialträger haben so keinen Raum zum „Nachwachsen“. Daraus resultiert auch:
Zu wenig Eigenverantwortung: Wenn bisher kaum Verantwortung an die Mitarbeiter abgegeben wurde, dann kann es letztlich nicht verwundern, dass die Mitarbeiter nicht gewohnt sind, selbst Verantwortung zu übernehmen. Wenn dann der Wind dreht und eigenverantwortliches Handeln eingefordert wird, dann taumeln die Mitarbeiter zwischen Überforderung und Angst. Angst ist jedoch bekanntlich ein schlechter Ratgeber und führt zu einigen sehr menschlichen Reaktionen:
Schuldzuweisungen: Nicht nur im deutschen Mittelstand laufen Dinge schief, werden Fehler gemacht. Es gehört zum modernen Management-Wissen, dass Mitarbeiter Freiräume für Fehler brauchen – und sich nicht vor Sanktionen davonducken müssen. Daraus ist nicht abzuleiten, dass Fehler nunmehr gefeiert werden sollten. Stattdessen geht es um die simplen Fragen: Was ist schiefgelaufen, warum und wie können wir das künftig vermeiden? Die Strategie der Mitarbeiter, die „Schuld“ stets anderen zuzuweisen und gleichzeitig zu betonen, man selbst habe keine Möglichkeit, das zu ändern, wird jedoch nicht länger zu tolerieren sein.
Zu langsam: Ich gebe gern zu, dass mich diese Aussage immer wieder erstaunt – gilt doch der deutsche Mittelstand als flexibler und damit im Vorteil gegenüber den schweren Strukturen der Großunternehmen. Jedoch ist es offenbar heute so, dass in einigen mittelständischen Unternehmen vieles einfach zu lange dauert.
Zu wenige Prozesse: Ich habe den Eindruck, Prozesse scheuen die Mitarbeiter in vielen Unternehmen des deutschen Mittelstandes wie der Teufel das Weihwasser. Warum ist das so? Ich bin kein orthodoxer Prozess-Papst, denn ich weiß, dass übertriebene Prozessorientierung die eigenen Mitarbeiter auch entmündigen kann („Tut mir leid. Unser Prozess gibt das so vor. Kann ich leider auch nicht ändern!“). Dennoch bin ich ein Freund der Prozessorientierung, denn Prozesse schaffen Transparenz. Und jeder, der ein Unternehmen professionell führt, weiß, dass Transparenz das A und O ist, wenn es zu entscheiden gilt. Ich kann also schon verstehen, dass sich Mitarbeiter ein wenig davor fürchten, dass auf einmal vollständig sichtbar wird, was sie tun und wie sie es tun. Dennoch wird kein erfolgreicher Weg daran vorbeiführen.
Aus der Distanz und als Ganzes betrachtet ist das schon recht erstaunlich, denn all diese Unternehmen sind seit Jahrzehnten erfolgreich tätig und genießen durchweg einen guten Ruf im Markt.
Im Briefing-Gespräch kommt zudem überdeutlich heraus, weshalb jetzt Interim Manager benötigt werden:
„Wir haben die Leute nicht an Bord, die das können – und ich möchte, dass die Dinge endlich einmal vorankommen, ohne dass ich mich selbst stets um alles kümmern muss!“
Oder, wie es erst kürzlich eine von mir sehr geschätzte Geschäftsführerin formulierte: „Wissen Sie, Herr Becker, ich trau´ mich das gar nicht auszusprechen – aber Fakt ist: Wir haben in den vergangenen Jahren eindeutig gegenüber unserem Wettbewerb verloren!“
Wenn ich diese Gespräche nacharbeite, dann haben diese Unternehmen meinen Respekt für ihr neues Credo:
There´s no more time for any bullshitting!