Gern gebe ich zu, dass ich mich mitunter frage, ob das Interim Management überhaupt eine Zukunft hat. Dabei denke ich weniger an juristische oder versicherungstechnische Hürden, die ja in der jüngeren Vergangenheit spürbar höher geworden sind.
Hierbei denke ich auch nicht an den härteren Wettbewerb oder daran, dass der eine oder andere Interim Manager den kommenden Anforderungen nicht gewachsen sein könnte.
Ich denke daran, dass viele Unternehmen in Deutschland immer länger für ihre Entscheidungen brauchen. So hat zum Beispiel ein mittelständisches Unternehmen mit immerhin weit über 200 Mitarbeitern und deutlich über 50 Mio. Euro Umsatz im November 2015 eine Anfrage bei MANATNET platziert: „Wir brauchen den Interim-Leiter Vertrieb, der den Vertrieb „auf Vordermann“ bringen soll. Muss aus unserer Branche kommen – und, ganz wichtig!, muss Aussendienst-Erfahrungen mitbringen. Wir haben seit Jahren keinen Leiter Vertrieb, und daher macht der Vertrieb aus unserer Sicht was er will – nicht unbedingt was wir wollen! Eigentlich suchen wir deshalb einen neuen Vertriebsleiter in Festanstellung!“ Klar, dagegen spricht ja auch gar nichts. Nur, das dauert halt.
In schöner monatlicher Regelmäßigkeit bekommt das Unternehmen „neue Bewerbungen rein, die wir uns erst anschauen müssen! Erst dann wollen wir über den Interim Manager entscheiden…“
Keiner der Bewerber passte bisher.
Bis heute nicht. Sechs Monate später noch nicht!
Nach einem halben Jahr ist das Unternehmen somit keinen Schritt weiter. Der Vertrieb dümpelt weiter dahin und macht weiter wie bisher – nach eigenem Gusto: Ausgerechnet der Vertrieb!
Ausnahmslos jeder Interim Manager für den Vertrieb hätte das Unternehmen in dieser Situation weiter gebracht. Und die Asse von MANATNET, zum Beispiel dieser hier, hätten inzwischen den Bereich aufgeräumt, neu aufgesetzt und dem neuen Vertriebsleiter in Festanstellung den „Acker bestellt.“
Ein Land der „Schnarchnasen“?
„Time to Market“ nennt man so etwas. Und es scheint so, als hätte Deutschland das weitgehend verlernt! Und so sorgte Thomas Huber, Chef von Cassing Institut für Absatz- und Produktentwicklung, für Schnappatmung im Auditorium des AIMP-Jahresforums 2016 als er wörtlich sagte:
„Bis so einige Schnarchnasen hier in Deutschland aufgewacht sind, haben die [die Asiaten] den Markt längst gemacht – und wir hecheln hinterher…!“
Ich sehe das weitgehend auch so: In einigen Bereichen ist Deutschland langsamer geworden, wenn ich das z. B. mit der Zeit 1995 bis 2001 vergleiche – und Deutschland hechelt in diesen Bereichen durchaus hinterher. Und: Die allermeisten verdrängen das, wollen diesen die wohlige Behaglichkeit zerstörenden Zustand schlichtweg nicht wahrnehmen…
Langsamkeit erwürgt Interim Management
Wenn sich diese Langsamkeit noch weiter ausbreitet: Wofür brauchen wir dann noch Interim Manager und Interim Managerinnen? Welchen Vorteil bringt die kurzfristige Verfügbarkeit, wenn die Unternehmen nur noch im Schneckentempo agieren?
Und dann gibt es die Unternehmen, die ich liebe:
Freitagmorgen, 9.20h: „Herr Becker, wir brauchen einen Programm-Manager in [Osteuropäisches Land]!“
Programm-Manager Automotive ist mit die schwierigste Aufgabenstellung, die ich mir derzeit vorstellen kann…: „Wann?“
„Montag! Wir haben eine Krisensituation im Anlauf. SOP ist in acht Wochen!“
„Na, dann fang´ ich mal an zu buddeln…!“ Mein Hirn meldet verschämt: „Mit fliegenden Fahnen geht Dein Wochenende den Bach ´runter….“
Freitagmorgen, 10.20h: Projektvorstellung per E-Mail an die 7 Kandidaten, deren Profil passen kann und die sofortige Verfügbarkeit angeben….
Freitagmorgen, 10.45h: Die ersten Antwortmails schlagen auf; „Herr Becker ich habe gerade gestern ein neues Projekt angenommen und bin daher nicht mehr verfügbar….“ Und ewig grüßt der Schenkelklopfer: Wer´s glaubt, wird selig!
Zwei Kandidaten bleiben übrig. Einen habe ich gerade noch in Asien erreicht – vor seinem Heimflug. Sein Lebenslauf ist nicht aktuell. Wir regeln das am Samstag…
Freitagmittag, 14.20h : „Hallo Herr XYZ, ich habe 7 Kandidaten kontaktiert:
- 5 sind nicht verfügbar – im Zweifel, weil am Montag ein Zahnimplantat ansteht.
- 1 hat auf meine Nachricht auf seiner Voice-Mail noch nicht geantwortet.
- 1 überarbeitet sein Profil mit mir.
Das wird wieder darauf hinauslaufen, dass wir am Wochenende diesen Prozess weitertreiben: Aber das kennen wir beide ja bereits.“
Freitagnachmittag, 16.54h:
„Klasse! Kriegen wir so bestimmt hin.
VG
XYZ“
Sonntag findet das erste Telefonat mit dem Kandidaten „aus Asien“ statt. Montag, 11.30 findet das Gespräch mit der Geschäftsführung der Holding vor Ort statt.
Am Dienstag nimmt der Interim Manager seine Arbeit auf.
So geht´s auch! Und ich bin zutiefst davon überzeugt: Diese Unternehmen werden erfolgreich sein – und das ist der Sinn von Interim Management:
Freitag angefragt – Dienstag angefangen!